Friedrich Wilhelm, Humboldt und Slonimsky
Chajim Selig Slonimsky*, Begründer und Herausgeber der ersten
hebräischen Tageszeitung "Hazefirah" in Warschau, ging nach Berlin, um daselbst
seine physikalischen Erfindungen, mit denen er sich beschäftigte, verwerten zu
können und wurde hier mit Alexander von Humboldt bekannt. Humboldt, der
bekanntlich bei König Friedrich Wilhelm IV. viel galt, wußte den Herrscher für
den jüdischen Gelehrten zu interessieren. Der König befahl Slonimsky zu einer
Audienz.
Von dieser Audienz erzählt Simon Bernfeld in einer vor Jahren
veröffentlichten Slonimsky-Monographie eine reizende Episode. Humboldt teilte seinem Schützling mit, daß der König ihn
sprechen wollte und gab ihm den Zeitpunkt an, an dem die Audienz stattzufinden
hätte. Etwas früher sollte Slonimsky zu Humboldt kommen, der ihn beim König
einführen wollte. Slonimsky trug damals die polnisch-jüdische Kleidung. Vor dem König mochte er aber nicht so
erscheinen und ließ sich an jenem Tage in Frack und weißer Binde ausstaffieren.
Als er so bei Humboldt erschien, war dieser ganz unangenehm enttäuscht.
"Was fällt Ihnen ein", rief Humboldt unmutig, "sich so zu
maskieren? Der König ist gerade auf den Forscher im Kaftan neugierig." Slonimsky mußte somit umkehren, um sich wieder in seiner alten
Kleidung beim König einführen zu lassen.
* Großvater des bekannten polnischen Dichters Antoni
Slonimsky, Verfasser des Dramas "Der Turm von Babel", Führer der bedeutendsten
polnischen Dichtergruppe und Vorkämpfer der pazifistischen Bewegung in Polen.
Schon sein Vater trat zum Christentum über.
Sie werfen uns Steine nach . . .
Ein reichgewordener Jude in Polen erwarb ein Landgut und hatte
daher, gleich den christlichen Adeligen, das Recht, einen vierspännigen Wagen zu
benutzen. Die erste Siegesfahrt aus seinem "Dorfe" ging in die
nahegelegene Großstadt, und er nahm einige seiner "Pächter", schlichte Juden,
mit sich. Stolz ging die Reise vonstatten.
Unterwegs erblickten einige Bauernjungen die langbärtigen
Juden und begannen, Steine nach ihnen zu werfen; den herrlichen Wagen schonten
sie nicht.
"Ach", rief einer der Pächter, "ach, wenn schon endlich der
Messias käme!" "Und was -wäre dann?" fragte der Gutsherr, der durch die
Erlösung das Gut nicht verlieren wollte. "Dann werden sie", sagte der Pächter, "im Viergespann fahren
und unsere Kinder werden ihnen Steine nachwerfen.''
"Nein, nein," wehrte der Gutsherr mit einer Handbewegung ab,
"lieber fahren wir im Viergespann und sie werfen uns Steine nach...
Moritz Jukai bewundert!
Im ungarischen Magnatenhaus wurde über die Vorlage des
Gesetzes wegen Trennung der jüdischen Gemeinden verhandelt. Bekanntlich wurde
dieses Gesetz seitens der liberal-neologen Judenheit mit aller Entschiedenheit
bekämpft. Ein jüdisches Mitglied übersetzte jene Sätze des Buches
Schulchan-Aruch*, in welchen von der Lebensführung des religiösen Juden die Rede ist und die Zitate
erregten große Heiterkeit.
Einige Mitglieder riefen: "Hört, hört, welche Bücher für die
orthodoxen Juden Geltung haben!" Inmitten dieses Gelächters erhob sich Moritz Jokai, der
berühmte ungarische Dichter, und sagte sichtlich ergriffen: "Ich bewundere die
sittliche Kraft eines Volkes, dessen Lehrer und Wegweiser den Mut aufbrachten,
auch betreffs der Aufführung im Klosett Anordnungen zu treffen." Die Bemerkung des berühmten Dichters war für die Annahme der
Vorlage entscheidend.
* Wörtlich: "gedeckter Tisch", der von R. Josef Karo im 16. Jahrhundert
verfasste Religionskodex in vier Teilen, enthaltend Ritual- und
Zivilgesetze sowie das Eherecht.
"Ein Hund, der bellt, beißt nicht!"
Nach dem Zusammenbruch, da Galizien an Polen fiel, wies
Landeshauptmann Albert Sever die durch den Krieg nach Niederösterreich
geflüchteten galizischen Juden als "lästige Ausländer" aus; nur Personen, die im
Kriege reich geworden waren und deren Verbleib in Wien für
Österreich ein Segen war, hatten die Möglichkeit, in Österreich zu bleiben.
Ein galizischer Jude, der Österreichs großen Krieg mitgemacht
und in seiner Heimat Hab und Gut verloren hatte, wollte gegen die Verfügung, die
er für eine Ungerechtigkeit hielt, Einspruch erheben. Er ging zu einem
Rechtsanwalt und geriet zufällig Ironie des Schicksals ! in die Kanzlei
eines Rechtsanwaltes, nennen wir ihn Dr. R., eines seinerzeitigen Führers der
Wiener Antisemiten.
Als Dr. R. des Juden mit dem langen Bart und den schönen
Locken ansichtig wurde, machte er große Augen; es war der erste polnische Jude, der die Kanzlei des Dr. R.
betrat! Die Wiener Gemütlichkeit brachte es aber mit sich, daß er den Juden
freundlich empfing und um sein Begehren fragte; der sagte es ihm.
"Wissen sie aber, mein lieber Jud'", sagte Dr. R. »wer ich
bin?" Der Jude erwiderte: "O, ich weiß, Sie sind ein Advokat und ein
guter Mensch dazu." "Ich bin Dr. R., der bekannte Feind der Juden. Wie oft halte
ich Reden gegen die Juden!", antwortete er und lachte herzlich.
Schlagfertig sagte der Jude: "Bei uns in Tarnopol hat man aber
ein Sprichwort, das sagt: ,Ein Hund, der bellt, der beißt nicht*'. Auch Sie
möchten uns außer Österreich wissen und halten Reden gegen uns. Aber getan haben
Sie uns doch noch nichts. Sever aber, der noch kein böses Wort gegen die Juden
öffentlich gesprochen hat, gab ihnen aus tiefem Menschlichkeitsgefühl einen Biss,
an den sie noch Jahrhunderte hindurch denken werden."
* Vgl. Ignatz
Bernstein, "Jüdische Sprichwörter und Redensarten", Warschau 1908. Art. "Hund"
Nr. 1110.
Unsere Fehler
Von Dr. Josef S. Bloch rührt das Wort her: Es ist geradezu eine Gnade Gottes,
dass die Judenfeinde uns von
Generation zu Generation Dinge andichten und nach Fehlern bei uns suchen, die
wir nicht haben, so dass wir gegen diese Verdächtigungen unsere Stimme mutig
erheben können. Überdies wiesen oft, und oft christliche Gelehrte unsere
Unschuld nach. Man beschuldigte uns beispielsweise, dass wir Christenblut
gebrauchen, oder dass wir gegen den Nichtjuden Meineid leisten dürfen. Wir finden
Kraft, uns zu entrüsten und in alle Welt zu rufen: "Unsere Feinde verleumden
uns!" Und es kommen edle, gelehrte Christen und auch sie rufen in alle Welt:
"Es ist daran kein wahres Wort! Den Juden ist der
Blutgenuss
streng verboten, der Jude muss sich nach dem Talmud sogar vor einem wahren Eid
bewahren, wieviel mehr vor einem falschen Eid usw."
Übel wäre es aber, wenn unsere Feinde von unseren wahren
Fehlern eine Ahnung hätten, von den "Vorzügen", die wir uns im Laufe von
Jahrtausenden zwischen den vielen Völkern der Welt angeeignet haben. Wo hätten
wir die Kraft, diese Fehler abzuleugnen, die wir mit uns die Fehler des
Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit, der morgenländischen und der
abendländischen Völker herumtragen? Ja, es ist ein Glück für uns, daß sich unsere Feinde auf Lüge
und Verleumdung verlegt haben.
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